Plattdeutsche mecklenburgische Hochzeitsgedichte/Vörwoord
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Nach einem Vortrage, den ich vor einiger Zeit im Rostocker Altertumsverein über plattdeutsche mecklenburgische Gelegenheitsdichtungen halten durfte, meinten einige Vereinsmitglieder, daß die seltenen alten Sprachdenkmäler wohl einen Neudruck verdienten, und daß die Tagung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung in Rostock eine passende Gelegenheit für eine solche Veröffentlichung wäre. Als dieser Wunsch damals ausgesprochen wurde, glaubte ich zunächst, daß es sich nur um eine Art freundlichen Beifalls handele, und ich dachte noch nicht ernstlich an eine Verwirklichung des Plans. Mir schienen die kleinen Dichtungen zum großen Teil doch allzu unbedeutend. Auch mußte ich mir sagen, daß ich kaum imstande sein würde, diesen niederdeutschen Dichtungen den für die Sprachforschung erwünschten philologischen Rahmen zu geben. Erst nach und nach wurden meine Bedenken zerstreut, auf der einen Seite besonders durch die Überzeugung, daß es sich hier in der Tat um eine Bekanntmachung außerordentlich seltener heimischer Sprach- und Kulturdenkmäler handelt; andrerseits durch die Hoffnung, daß die Interessenten, vor allem die Teilnehmer der Rostocker Pfingstvereinigung, die kleine Scherz-Sammlung wohl auch ohne eine sorgfältige philologisch-historische Einleitung freundlich aufnehmen möchten. Um eine solche freundlich-nachsichtige Aufnahme, eine solche etwa, wie man sie bei Überreichung eines schnell zusammengerafften kunstlosen Straußes heimischer Feld- und Wiesenblumen erhofft, möchte ich an dieser Stelle aber doch noch ausdrücklich und angelegentlich bitten. —
Unsere Gelegenheitsdichtungen fallen im ganzen in die Zeit zwischen Lauremberg einerseits und Joh. Heinr. Voß und Dietr. Babst andrerseits, also in die Zeit, wo das Plattdeutsche als allgemeine Schriftsprache aufgehört hatte und wo eine künstliche Wiederbelebung seitens einzelner Dichter noch nicht erfolgt war. Carl Schröder sagt in seiner „neuniederdeutschen Dichtung in Mecklenburg“ von dieser Zeit: „Auf uns gekommen ist aus dem ganzen Jahrhundert . . fast nichts Niederdeutsches: nur ein Hochzeitsgedicht aus Hagenow v. J. 1708 . . und „De eenföldige Schnack van Chim den Fürsten-Buhren . . (1719).“ Aber nicht bloß plattdeutsche Dichtungen fehlen aus dem bezeichneten Zeitraum, es ist auch von sonstigen mundartlichen Sprachresten so gut wie nichts aufzufinden, denn in Schule und Kirche, auf Grabsteinen, bei Gericht und überhaupt in jedem schriftlichen [004]Verkehr herrschte damals das Hochdeutsche schon ausschließlich. Unter diesen Umständen muß jedes alte plattdeutsche Sprachdenkmal, auch wenn der sachliche oder künstlerische Wert noch so gering sein mag, für den Freund der Heimatsgeschichte etwas geradezu Ehrwürdiges haben, denn ohne diese kleinen Reste würde uns aus der langen Zeit von der Mitte des 17. bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts nichts mehr von der Sprache, die damals unsere Vorfahren doch überall noch gesprochen haben, entgegenklingen, und die Entwicklungsgeschichte dieser Sprache würde ohne sie eine größere Lücke aufweisen, als die Sprache mancher Völker, von denen wir durch Tausende von Jahren und Meilen getrennt sind. Um so sorgfältiger müssen natürlich alle Sprachreste, deren man noch habhaft werden kann, gesammelt und beachtet werden. Glücklicherweise sind sie wenigstens nicht ganz so selten wie Schröder meint. Allerdings kennt Scheller (Bücherkunde der Sassisch-Niederdeutschen Sprache. 1826), der die Titel einer recht stattlichen Zahl von plattdeutschen Hochzeits- und Gelegenheitsgedichten zusammenstellt, nichts aus dem Mecklenburg unseres Zeitraums. Ebenso bringt Weichmann (Poesie der Niedersachsen. 1725/32), der einige plattdeutsche Gelegenheitspoesien abdruckt, nichts aus Mecklenburg. Veröffentlicht ist, so weit ich sehe, wohl nicht viel mehr als einige Stücke im Korrespondenzblatt und im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung, nämlich im Korrespondenzblatt 24 ein Hochzeitsgedicht von 1700, im Jahrbuch 26 ein Hochzeitsgedicht von 1708, herausgegeben von Deiter, und im Jahrbuch 33 drei politische Gelegenheitsgedichte, die ich selbst zum Abdruck gebracht habe. Dazu würden dann die im vorliegenden Heft vereinigten Hochzeitsgedichte kommen. Es sind im ganzen 36. Sie stammen sämtlich aus Rostocker Bibliotheken, aus deren zahllosen unkatalogisierten Personalpapieren sie nur mit einiger Mühe herauszufinden waren. Die Nummern 1—12, 14, 15, 17, 20, 21, 22 (Neudruck) 25, 27, 28, 33, 34 gehören der Universitätsbibliothek, Nr. 18, 23, 26, 30, 31, 32, 35, 36 der Landesbibliothek, Nr. 19, 24 dem Stadtarchiv; von Nr. 13, 16, 29 besitzt sowohl die Universitäts- wie die Landesbibliothek ein Exemplar. Anfragen bei einigen benachbarten größeren Bibliotheken haben keinen Zuwachs gebracht: entweder war überhaupt nichts vorhanden oder die Bibliothekare waren nicht imstande, über die unverzeichneten Gelegenheitsschriften nähere Auskunft zu geben. Daß hier und da bei genauer Durchsicht noch ein oder das andere Stück aufzufinden sein wird, ist wohl anzunehmen; groß dürfte aber die Ausbeute auf keinen Fall werden. Auch von den hier abgedruckten Dichtungen dürften meistens kaum noch weitere Exemplare in öffentlichen oder privaten Büchersammlungen zu finden sein. Eine kleine Anzahl von plattdeutschen Poesien, die mir sonst noch in die Hände gefallen sind, die es aber nicht mit Hochzeitsfeiern, sondern mit akademischen Promotionen, mit Geburtstagsfestlichkeiten, Abschiedsfeiern und dergl. zu tun haben, habe ich vorläufig aus Rücksicht auf unsern Festschrift-Etat zurückbehalten müssen. In die Gattung der Gelegenheitspoesien gehören sämtliche mir bekannten alten plattdeutschen Denkmäler unseres Zeitraums. Diese Dichtungsart war [005]damals überall beliebt und verbreitet. Besonders seit Anfang und Mitte des 16. Jahrhunderts waren gedruckte Glückwunsch-, Trost- und Scherzgedichte in Mecklenburg wie im übrigen Deutschland mehr und mehr zur Modesache geworden. Im 17. und 18. Jahrhundert ist die Sitte schon so eingewurzelt, daß bei jedem Todesfall, bei jeder Hochzeitsfeier, bei jeder Amts- und Titel-Verleihung in einer angesehenen Familie auch der Buchdrucker alle Hände voll zu tun hat. Gegen Ende des 17. und im Laufe des 18. Jahrhunderts wachsen diese Gelegenheitsreimereien nach Umfang und Zahl geradezu ins Ungeheure; bei einer einzigen Festgelegenheit strömen oft mehrere Dutzend verschiedener großformatiger Druckschriften von seiten der Freunde und Verwandten auf den Gefeierten zusammen. Allein aus Rostock besitzt unsere Universitätsbibliothek mehrere Tausend derartiger Dichtungen. Ihre Sprache ist bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts ganz überwiegend das Lateinische, dann gewinnt das Hochdeutsche mehr und mehr an Boden, das Plattdeutsche dagegen nimmt nur eine bescheidene Stelle ein, und es findet sich immer nur da, wo Scherz und Unsinn am Platze ist, niemals aber bei Todesfällen und ernsten Feierlichkeiten. Nur aus der Zeit, wo das Plattdeutsche noch als Schriftsprache in Geltung ist, gibt es auch plattdeutsch abgefaßte Trauerschriften, so z. B. aus dem Jahre 1602 die Lyckpredigt des Nic. Duncker auf Joh. v. Cramon. (Vergl. Wiechmann-Hofmeister, Mecklenburgs altniedersächsische Literatur.).
Die Hauptbedeutung aller uns erhaltenen plattdeutschen Gelegenheitsdichtungen liegt wie schon angedeutet auf sprachlichem Gebiet. Doch bieten die Gedichte auch in sittengeschichtlicher Hinsicht manchen beachtenswerten Zug, z. B. aus dem Treiben der Bauern in der Stadt, vom Rostocker Pfingstmarkt, über einzelne Hochzeitsgebräuche und dergl., ganz abgesehen davon, daß schon die ganze Art dieser Scherzdichtungen dem Kulturhistoriker einen eigenartigen Einblick in die Empfindungsweise jener Zeit verschafft. In sprachlicher Hinsicht scheinen mir manche Redensarten, auch sprichwörtliche, bemerkenswert, vor allem aber eine Anzahl von Wörtern, die der heutige mecklenburgische Dialekt überhaupt nicht mehr oder doch nur noch vereinzelt aufweist. Ich stelle hier einige derartige Ausdrücke zusammen. Außer den öfters vorkommenden vaken (oft), lident (sehr), of (oder), quaat (böse), schnügger (schmuck), praten, prat, praterie (erzählen, schwatzen, Erzählung), brok oder brauke (Hose), sind die bemerkenswertesten in:
- Nr. 2. kolz (Geschwätz), tucht un thür (Zucht und Tugend), wasck (Mund Plappermaul).
- Nr. 5. quackelteiten (Geschwätz).
- Nr. 6. teute (Bierkanne), kör (Wahl), bol hot bol schwoder (bald hierher bald dorthin?), schlincksegen (herumschlendern), büt (Tausch, Gabe), umbhangsgeld (Pathengeld).
- Nr. 8. galvern (dringend betteln), zöre (altes Pferd), imtiedt (Frühstückszeit), wißnaug (gewiß).
- Nr. 9. upflien (aufputzen), amdam (Wäschestärke), pünt (zusammengezogener Mund), treß (stattlich?), brudmiß (Hochzeit), knull (Tölpel), trensel (Bauch), aulercken raupen (rülpsen?), rasian (Rosinenwein?), hupen-voß (ganz matt) [etwas später: foh = matt?], zießken (Würstchen, saucisse).
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- Nr. 10. läkern (bummeln).
- Nr. 11. pöken (stoßen), fillen (Fell abziehen), krancht (auch in andern Stücken vorkommend: Krankheit, als Fluch = zum Donner u. drgl. gebräuchlich). :Nr. 12. baselmansen (Kußhände baisemain), vanglicht (vielleicht), spüddig (unansehnlich).
- Nr. 13. flien (aufputzen), dudendopp (in Nr. 20 dupendopp Hahnrei, einfältiger Mensch), stiefestand (Bezeichnung für steifen Hut), deudeli (törichte Dinge?).
- Nr. 14. schlierig (schmeichelnd, schleichend), heese-beese (prüde?).
- Nr. 15. angeblarr (Angesicht), piepen (küssen), julep (Kühltrank aus Fruchtsaft u. drgl.), zuckerstrufen (plattes, längliches Gebäck).
- Nr. 16. vörsprang (das schwerste, beim Worfeln vorspringende Korn), prülken (pröhlen, prüll, altes Zeug), rahmen (ins Auge fassen), wäden (Pfarrhaus), seusk un rusk (Wirrwarr und Unkraut).
- Nr. 17. püscken (Küsse).
- Nr. 20. plagg (Erdscholle), seeckens (weibliche Tiere), innorcken (einnicken), klückschen funk int glaß (Schluck Branntwein? im Glas), uhlkens (Häubchen), Krälcken (Korallen).
- Nr. 22. wedderwarsck (seltsam, unanstellig), man krancht (o weh! vergl. Nr. 11),Cite error: Invalid
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tag; refs with no name must have content stieper-stock (Stütze, Träger), queetlich (verdrießlich), gewiß un encken (gewiß und offenbar). - Nr. 23. köhrgod (sehr, auserwählt gut, vrgl. auch Nr. 30), redts (bereits), flabben (küssen, Flabbe breites Maul, vrgl. auch Nr. 35 u. 36).
- Nr. 24. lünsen (grollen, maulen), köddern (schwatzen).
- Nr. 28. finckel (Art schlechten Branntweins), droß (Teufel), benälen (betrinken), haseleren (hänseln).
- Nr. 27. cosfent (Schwachbier, auch in Nr. 35), dullschaner (Dulzian, Blasinstrument von Holz, Fagott), glas pur mi de jack (vrgl. auch Nr. 28 Purjack, eine Art gewürzten Getränks?).
- Nr. 28. kliet (Vorratskammer, Bauch), klunen (Kaldaunen), umtrent (ungefähr), man kranckert = man krancht (vrgl. Nr. 22).
- Nr. 29. schnäterkatten (?), gewiß un enck (vrgl. Nr. 22).
- Nr. 32. mägelck (vermöglich), chimkens (Kobolde, von Joachim), düker (Teufel), tüll (Röhre, Bierkrug), dwetern (schwanken), moor (mêr aber, vielmehr).
- Nr. 34. gniesen (murren).
- Nr. 35. spack (lahm), künckenfoht (Fuß des welschen Huhns, „Kune“?).
- Nr. 36. beren (sich anstellen), todeegt (tüchtig).
Dieser absichtlich kurz gehaltenen Liste mögen hier noch einige der zahlreich gebrauchten, sehr willkürlich veränderten Fremdwörter folgen:
clawuren (mißhandeln), climpenie (Kompagnie), craculation (Gratulation), farzepan (Marzipan), fassuhn (Façon), glant (elegant), kraido (vergl. Nr. 3 = credo?), mehlckmenten (Medikamente), muhlenkolsck (melancholisch), meenwe und minewet (Menuett), paspije (Passe-pied), promisteiren (protestieren), rasuhn (Raison), spirkucks (Spiritus), Vriol (? Nr. 6) u. a.
Die Lautverhältnisse sind wegen der außerordentlich willkürlichen Schreibweise ziemlich unsicher, jedenfalls ist es nicht immer leicht, die einzelnen Stücke ohne sonstige Indizien einer bestimmten mecklenburgischen Gegend zuzuweisen. Ich traue mir wenigstens nicht zu, für einige undatierte Stücke, deren Personalien ich nicht ermitteln konnte, einen herkunftsort wahrscheinlich zu machen. Das gilt besonders für Nr. 9, 15 und 34. Daß diese drei Stücke aber ebenfalls nach Mecklenburg gehören, dürfte — namentlich auch aus typographischen Gründen, Nr. 15 hat z. B. die gleichen [007]Vignetten und Typen wie Nr. 12 und 14, — sicher sein. Bei anderen Stücken, die wie Nr. 6, 18, 21, 25 keinen Druckort aufweisen, erkennt man aus dem Text Rostock als den Schauplatz der Hochzeitsfeiern, oder man weiß, wie bei Nr. 2, 4, 20, daß die genannten Persönlichkeiten nach Rostock gehören. Auch Nr. 35 wird aus Rostock stammen, denn der als Verfasser genannte „Oll Düthscke True Degen-Knoop“ begegnet uns noch in einem anderen plattdeutschen Gelegenheitsgedicht, das 1792 in Rostock erschienen ist („Beschriewung wu dat by den Erw-Prinzen Herrn Friederich Ludewig .. Ankunft to Rostock heergink ..“). Die übrigen Stücke sprechen für sich selbst; die fehlende Jahreszahl habe ich ein paar mal in [ ] hinzugefügt.
Ich schließe hieran noch einige Bemerkungen über die Art der Wiedergabe unserer Hochzeitspoesien. Bei Nr. 22 hat ein Neudruck vom Jahre 1893 zugrunde gelegen, Nr. 31 und 32 sind nach Handschriften, die übrigen Stücke nach den Originaldrucken wiederholt. Bei Nr. 1, 3, 4, 5, 12 sind die hochdeutschen Teile der Programme unberücksichtigt geblieben. Sonst ist der Abdruck in allen Fällen von Anfang bis zu Ende buchstaben- uud zeichengetreu. Auch offensichtliche Druckfehler habe ich — unter hinzufügung eines [!] — stehen lassen, da sie für die oft flüchtige Schreibweise dieser alten Druckerzeugnisse charakteristisch sind; nur in einigen Fällen, wie in Nr. 10 Endzeile, wo das statt dat steht, ist das [!] vergessen worden, und ein paarmal habe ich stillschweigend n in u oder u in n verbessert. Auch sonst habe ich mich bemüht, das ganze Druckäußere dem Original so viel wie möglich anzuähneln. Mit Hülfe des ziemlich reichhaltigen älteren Typenmaterials, das sich glücklicherweise im Besitze von Adlers Erben befand, dürfte dies einigermaßen gelungen sein. Eine Wiedergabe der alten naiven und oft derben Holzschnitt-Vignetten ist allerdings nicht möglich gewesen. Das Format ist bei den Originaldrucken 1—4, 8, 18, 34 Quart, bei den übrigen Folio.
Möchte die Sammlung der kleinen literarischen Kuriosa in ihrer neuen Gestalt den Altertumsfreunden für ein paar Minuten einige Unterhaltung gewähren. Aber auch das darf man wohl hoffen, daß sie der niederdeutschen Sprachforschung, besonders den Philologen, die sich einst — hoffentlich bald — an die Arbeit eines mecklenburgischen Wörterbuchs heranwagen werden, willkommen sein wird!
Rostock, Pfingsten 1908.
G. K.
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