Der Bräutigam.
Author: Fritz Reuter
Text type: Gedicht
Comment:

from: Polterabend-Gedichte

1855

:

(Ein junger Landmann, der von einem andern, am besten von einem Bruder, kopiert wird. Hernach Rose, eine alte, halb blinde, halb taube Aufwärterin.)

Bräutigam (mit Scheun-Schlüsseln, an die auffallend große Knittel gebunden sind, hereintretend. Er trägt gewöhnliche Kleidung, hat aber einen vollständigen eleganten Anzug über dem Arme hängen):

So! das wär' abgemacht!
Die Ställ' und Scheuren sind jetzt alle unterm Schlosse.
Nun heißt's sich angezogen, schmuck gemacht,
Und dann geht's fort auf schnellem, flücht'gem Rosse.
»Wie schön war N. N. heut«, so soll es heißen,
Den Feinen, Zarten will ich heut 'rausbeißen,
Was Fashionables, ganz apart Patentes!
N. N.! Ja, die kennt es!
Sie wird am feinen Anstand sich ergötzen,
Sie weiß Tournüre und Garderobe zu schätzen.
Wenn sie an dem Klavier sitzt und Gefühl
In jeden zarten Finger legt,
Dann tret' ich hinter sie und lausche ihrem Spiel
Und jedem Seufzer, der sich regt;
Und aus der Politur vom Instrumente
Strahlt ihr mein Bild entgegen, das patente.
Ein Bild voll Grazie, voll nobelster Natur,
Ein Bild selbst voll der feinsten Politur,
In schwarzem Frack, in gelbem Handschuhleder,
In zierlicher Krawatt und jeder
Der Stiefel in der Wichse höchstem Glanz;
Ein Bild, so exquisit, als wär es ganz
In crême der höchsten Zirkel eingetaucht,
Als wär's als Held schon mal verbraucht
In einem ultrafashionabelen Roman
Von Gräfin Ida Hahn-Hahn-Hahn.
(Kramt unter den Kleidungsstücken.)
Doch weh mir Armem! Was soll ich beginnen?
Gott steh mir bei und schütze meine Sinnen!
Ich will brillieren, und mir fehlt's am Besten,
Ich finde keine meiner weißen Westen.
Was hilft mir schmachtend Aug', was zierliches Gelock?
Was gelber Handschuh selbst und fashionabler Rock?
Was hilft des Vorhemds Glanz? Was hilft selbst die Manschette?
Was nützet aller Schmuck, was Ring und gold'ne Kette?
Nur in 'ner weißen Weste kann man siegen!
Dit is doch üm dei Pest tau kriegen!
Nee! Dit's tau dull! Doa sall man friegen!
Is doch en olles, dwatsches Mäten!
Hüt morgen, as sei Stäwel bröcht,
Hew ick't ehr so recht dütlich seggt,
Sei sall dei Westen nich vergeten.
Ros'! – In dei Komohr is ok nich ein.
Am En'n is nich en Dings mihr rein!
Na, täuw', du Racke! Ros'! – Ick will
Die gründlich doch einmal kurieren;
Dei Spaß, dei blift hüt ut dat Spill,
Du sast mi nich taum tweiten Mal vexieren.
Ros'! – Wo blift sei denn? Ros'! – Ros'!

Rose:
Herr Je! Herr Je! Wat is denn los?

Bräutigam:
Hew ick di nich hüt morgen seggt,
As du mi hest dei Stäwel bröcht,
Du süst mien witten Westen bringen?

Rose:
Singen? – Ja sing'n Sei man!
Woll den'n, dei noch singen kann.
Sei känen singen vull un luut,
Sei sünd noch jung un hebb'n 'ne Bruut.

Bräutigam:
Ick rehr nich von mien Bruut, ok nich von't Singen;
Ick segg, du sast mien witten Westen bringen!

Rose:
Am besten sing'n? Je, dat kann ick nich seggen,
Wer hier in'n Huus' am besten singt.
Doch doarup mücht ick woll en Eid afleggen,
Dat Ehre Bruut ehr Sing'n vör Sei am besten klingt.

Bräutigam:
Ich wollt, du wärst bei allen Teufeln!
Nein! Dies ist rein doch zum Verzweifeln.
Ick segg: Du sast mien witten Westen bring'n!

Rose:
Nu spaßen Sei! Ick sall hier mit am besten sing'n?
Ick sing'n! Ach, du leiwer Gott!
Ach nee, Herr N. N., dat is Spott;
Ick kann jo nich en Ton 'rutbring'n.
Ja! As ick jünge wier, dunn hew ick sungen,
Dunn hahr'ck ok noch ganz ann're Lungen.
Noch nielich, as ick Stäweln putzt,
Dunn hew ick't werre mal versöcht.
Dat hebbn dei annern Dierns gliek upgemutzt
Un hebbn mi 'n Glas voll Wate bröcht
Un sähren mi, dat hahr so klungen eben,
As wull sich eine äwegeben.

Bräutigam:
Na, hat man so etwas gehört auf Erden!
Dies ist um rein verrückt zu werden!
(Zeigt ihr die Weste, die er anhat.)
Du sast mien witten Westen bringen!

Rose:
Je, so! Je, so! Dei witten Westen!
Worüm denn seggn Sei dat nich gliek?
Wo? Glöben Sei, dat ick dat rüük?
Dütlich gespraken, is am besten. –
Dei witten Westen! Ja, dei witten Westen!
Ick hew en ganzes Deil tausamen sport
Un hew sei bi mi gaut vewohrt;
Ick hew'e nicks as Argenis doavon!
Doa 's N. N., dat's so'n Musch Kujohn,
Hei döcht nich, hew ick ümme seggt,
Dei hahr sich ok drei in den Kuffert leggt;
Dat rappst un grappst sich all'ns tausamen,
Ick hew s' em äwe heimlich werre 'rute nahmen.
So maaken s't all, Ehr Vahre un Ehr Bräure,
Sei stehlen all vom Lüttsten bet taum Grötsten.
Vestahn S' mi recht, ick mein nich ann're Gäure,
Ick mein man bloß, sei stehlen witte Westen,
Von witten Westen hew'ck man seggt.
Mi süll't wahrhaftig goa nich wunnern,
Wenn ok Ehr Schweste N. N. unnern
Kleed ore Aewerock ehr witten Westen drögt.

Bräutigam:
Na, denn gah hen und hahl s', ick hew kein Tied.

Rose:
Nu, nu! N. N. ist doch nich alltau wiet,
Un wer so schmuck as Sei utsüht,
Dei kümmt noch ümme grar tau rechte Tied.
Ick hahl dei Westen, as Sei mi befahlen.
Wer weit, sei hebbn s' all werre stahlen.
(Geht ab.)

Bräutigam (allein, sentimental):
Mich faßt ein namenloses Sehnen,
Ach! nach N. N.! Ich reit' allein;
Ich eile jetzt, mich zu verschönen,
Und flieh der Brüder wilde Reihn.
Errötend such in Koffern, Kästen
Die Garderobe ich Stück für Stück;
Die schönste such ich meiner Westen,
Womit ich meine Liebe schmück'.
O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit!
Die Weste laß ich vorne offen
Und zeig' des Vorhemds Zierlichkeit,
Oh, daß sie unzerknittert bliebe,
Die Weste und die junge Liebe!

Rose (kommt mit einem ganzen Arm voll Westen,
Vorhemden, Hemdkragen und anderem Weißzeug):
Na, sünd dat 'naug, süs hahl ick mihr.
(Will gehen, um mehr zu holen)

Bräutigam (hält sie fest):
Zum Dunnerwetter, blief doch hier,
Meinst du, ick will mien Bruut tau Ihren
En Trödelladen etablieren?
(Er kramt unter dem Zeuge.)
Die nicht – die auch nicht, (laut zu ihr.) dei' s jo nich mal rein!

Rose:
Nich vör dit Oog, Sei möten s' vör dat anne hollen,
Up dit Oog kann ick nich recht seihn.

Bräutigam:
Du lieber Gott! Was doch wohl meine Eltern wollen?
Daß sie die blinde, taube Kreatur,
Die weder sehn noch hören kann 'ne Spur,
Mir hier als Stubenmädchen oktroyieren.

Rose:
't is wohr! Seihn kann'ck nich recht; doch hüren!
Ja, hüren kann'ck! Ick hür so prick,
Dat, wenn s' in N. N. König scheiten, ick
Dat Scheiten kann in N. N. hüren.

Bräutigam:
Na ja! Is gaut, ick weit dat all.
Nu gah mal 'runne nah den Stall:
Dei Rietknecht sall mien Pird mi bringen,
Un hür!, ok nich dei ollen Decken,
Hei sall dei nie Schawrack upleggen
Un sall ok nich dei Gort tau los' antrecken.
Nu antwurt mi, wat sast du seggen?

Rose:
Dei Rietknecht sall Ehr Pierd Sei bringen,
Un Dürt sall nich den Ollen wecken,
Sei sall dei nie Krawatt anleggen
Un sall ok nich dei korte Hos' antrecken.

Bräutigam:
Dies ist zu toll! Ist zum Verrecken!
»Dürt sall ok nich dei korte Hos' antrecken!«
Wenn ich noch reiten will, muß ich mein eigner Bot' sein.
Dit geiht doch äwe Kried un Rotstein!
(Läuft wütend ab.)

Rose:
Doa geiht hei hen, nu fleut em nah!
Ick segg em allens Wurt vör Wurt,
Un wat hei seggt, spreck ick em nah,
Nu ward hei bös un löpt mi furt. –
Na, loop du man! Dei Tied wad kamen,
Wo ick nich mihr so üm di 'rümme bün,
Un all dei vornehm fienen Damen,
Dei waren nich för di so sorgsam sin.
Dat is dei Dank, dat is dei Lohn!
Wat? Röpt mi wer? Wat wier dat för'n Ton?
Oh, 't is woll nicks. Wer süll't ok sin? –
So geiht ein'n dat, wenn man tau gaut kann hüren,
Man deiht sich ümme so vefiern,
Man hürt up allens, hürt up dit un dat
Un glöwt denn ümme, dat man raupen wad.
Wat wull'ck noch seggen? Richtig! Von dei fienen Damen.
Ob doavon weck woll up den Infall kamen,
Dat sei ein siene Stuw utfegen,
Ein siene witten Westen hegen?
Ob ein von ehr em woll dei Knöp anneiht
Un ein woll Rendlichkeit andeiht?
Ob sei em woll, wenn hei deiht Unsinn rehren,
Dat Wurt vör Wurt, as ick, nahbehren?

(Sich an die umstehenden Damen wendend.)
Würr'n Sei dat dauhn, mien säute Schatz?
Un Sei? Un Sei? – Doa rögt sich kein von ehren Platz,
Sei mägen all woll nich sich an den Bessenstehl beschmutzen,
Un kein, dei mag woll Stäwel putzen. –

(Zur Braut.)
Doch hier sitt ein, mit dei müggt dat woll gahn,
Dei würr am En'n sich woll doatau vestahn,
Dei kickt ein so vegnäuglich an.
Drüm will ick mi an Sei denn wenn'n
Un birren, wat ick birren kann,
Dat Sei em nehmen unne Ehre Hän'n
Un för em sorgen, as 't am besten,
Un em besorgen siene witten Westen.
Doch hüren möten S', nipping hüren;
Dat Seihn is nich so nöhrig eben,
Wer tau vähl süht, kann vähl Vedruß erleben,
Doch hüren möten S', nipping hüren,
Un horchen möten S' up sien Wurt,
Süs deiht hei Sei as mi schappieren,
Hei löpt Sei, hohl's der Kuckuck, furt.