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„Und der Advokat?“ fragte sie, wehte mit dem Tuch und schluchzte.

Die Primadonna Flora Garlinda reichte noch einmal die Hand aus dem Fenster nach dem Schneider Chiaralunzi, der reglos dastand und sie ansah. Er stürzte vor mit plötzlich verstörtem Gesicht; aber der Wagen rollte schon wieder, der Schneider verfehlte die Hand, er stolperte. Alle lachten; aber Flora Garlinda nahm ernst von ihrer Brust eine kleine staubige Rose aus Leinen und warf sie an die Brust des Schneiders.

Der Kapellmeister Dorlenghi stand abgewendet und sah zu Boden. Man verlangte, daß er mit der ganzen Musik ausziehe, aber da begann er die Arme zu werfen: „Ich soll hinter diesen armseligen Komödianten hermarschieren? Ich, der ich in Venedig die großen Opern dirigieren werde?“ — und auf einmal brach er in Tränen aus. Das Volk schwieg, es ließ ihm eine Gasse; er entkam.

„Abfahrt! Alle hinterher!“ — und als die Diligenza durch das Tor fuhr, wimmelte schon die ganze Rathausgasse. Die jungen Leute mit großen Hüten und bunten Halstüchern überholten im Eilschritt die Post, sie ließen die flinke, klirrende Musik ihrer Mandolinen dem Zuge voranspringen. Mitten darin tänzelte das Pferd des jungen Severino Salvatori, der leichte Korb wippte zwischen seinen zwei großen Rädern, und, ah! er hatte sie aufsteigen lassen, der schöne Herr — bunt schwirrend quoll es heraus von kleinen Choristinnen. Sie saßen übereinander, sie hingen dem jungen Salvatori um den Hals, nahmen ihm, indes er auf seinem niedrigen Kutschbock die Beine bis unter das Kinn hinaufzog, das Monokel aus dem Auge und setzten es, ohne daß er die elegante Miene verzog, wieder ein. Vor ihnen auf bliesen der Chiaralunzi und seine Freunde aus vollen Backen in ihre Instrumente, und, versteht sich, hinten lärmte um so mehr der Barbier Nonoggi mit seiner Bande.

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