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II Longes mac n-Usnig.

6. Macpherson’s Gedicht stimmt mit der irischen Sage nur in den äusser­sten Umrissen überein: die Heldin flieht mit dem begün­stigten Liebhaber; der ver­schmähte, aber mächti­gere Liebhaber ver­nichtet den Neben­buhler sammt seinen zwei Brüdern, und die Heldin selbst überlebt den Untergang derselben nicht lange. Die wichtig­ste Ab­weichung besteht darin, dass der ver­schmähte Liebhaber nicht König Conchobar, sondern König „Carbair“, gäl. Cairbre, ist. Dieser gehört aber nicht dem ersten, sondern dem zweiten Sagen­kreise an (s. S. 59): Cairbre und Oscar, Oisin’s Sohn, tödten sich gegen­seitig im Zweikampf. Darauf bezieht sich das unter VI 1 von mir mitge­theilte alte Gedicht. Auf diese und andere Ab­wei­chungen von der alten irischen Sage hat bereits O’Flanagan a. a. O. auf­merksam gemacht; wir heben nur das Haupt­resultat hervor, dass in Mac­pherson’s Darthula, wie noch oft in anderen „ossiani­schen“ Gedichten (vgl. Hennessy, Academy 1871, pag. 366) die zwei Haupt­sagen­kreise, welche die irische Sage ebenso scharf aus einander hält, wie die grie­chische Sage etwa den Argo­nautenzug und den trojani­schen Krieg, unter einander gemengt sind. Was die übrigen Namen anlangt, so liegen dieselben aller­dings nur in der angli­sirten Form vor. Den irischen Namen Derdriu (Gen. Derdrenn), Nóisi (Gen. Nóisen), Andle, Ardan, Usnech ent­sprechen bei Mac­pherson der Reihe nach: Darthula, Nathos, Alt hos, Ardan, Usnoth. Wenn wir auch die Angli­sirung in Anschlag bringen, so ist doch die Verschie­denheit in den drei ersten Namen so gross, dass die schotti­schen Formen nicht als orga­nische Weiter­entwi­ckelung der irischen be­trachtet werden können: sie sehen vielmehr aus wie Verstüm­melungen nicht ein­heimi­scher Namen. Der vierte Name lautet auf beiden Seiten gleich. Der Unter­schied zwischen Usnoth und Usnech ist gering: in späteren Hand­schriften wird auch im Irischen nicht selten th für ch ge­schrieben. Ein unpartei­ischer Kritiker kann nicht daran zweifeln, dass Mac­pherson’s Gedicht in jeder Beziehung eine jüngere Gestalt der alten Sage bietet.

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