Unverständige Masse, auserwählte Bergsteiger
In der Oesterreichischen Alpenzeitung, dem Vereinsblatt des Oesterreichischen Alpenklubs, wird zeitgleich zu den Auseinandersetzungen um Besteigungs- verbote und gesetzliche Massnahmen zur Unfallreduktion geklagt: «Wenn sich bei uns zu Lande ein gewiss allgemein und am meisten von uns Alpinisten selbst beklagter Unglücksfall beim Bergsteigen ereignet, so erhebt sich sofort ein Lamento über die unsinnige Bergsteigerei, diese zweck- und nutzlose Fexerei, der man energisch das Handwerk legen müsse! [...] für den verun- glückten Touristen hat die grosse Menge zumeist nur die Worte in Bereitschaft: Geschieht ihm schon recht!»[18]
Die Presse sei Sprachrohr für jene, die keine Ahnung hätten. Leichtfertig werde verunglimpft, in der Beurteilung der verschiedensten Freizeitunfälle werde mit ungleichem Mass gemessen. Es würde beharrlich verschwiegen, dass sich schwere Unfälle keinesfalls nur in der Hochgebirgsregion ereignen. Ausserdem müsse hervorgehoben werden, dass nicht alle Unglücke in den Bergen auf ein Fehlverhalten von Bergsteigern zurückzuführen seien. Die Presse habe sich einfach auf den Bergsport eingeschworen - unweigerlich sei daher bei einem breiten Publikum der Eindruck entstanden, die Zahl der Bergunfälle würde stetig steigen. Ausgerechnet mit Opfern von Bergunfällen gingen Medien besonders hart ins Gericht, dabei würde eine «authentische Statistik» klar aufzeigen, dass der Bergsport die verhältnismässig ungefähr- lichste Sportart sei.[19]
Nicht selten gipfeln leidenschaftlich geführte, öffentliche Wortwechsel in der Ermittlung von Sinn und Zweck des Kletterns. Als Beispiel zitiere ich aus der Neuen Freien Presse, welche den Absturz eines der hervorragendsten Alpi- nisten, Erstbesteigers und Erschliessers neuer Routen zum Anlass nimmt, mit ebendieser Frage zu provozieren: Der 1861 in Wien geborene Bergsteiger Emil Zsigmondy hatte gemeinsam mit seinem Bruder Otto und dem Österreicher Ludwig Purtscheller Ende Juli 1885 die erste Längsüberschreitung des Gip- felgrates der 3983 Meter hohen Meije in den Dauphine-Alpen durchgeführt. Führerlos hatten die drei zuvor unter anderem bereits die Kleine Zinne, den Ortler, die Monte-Rosa-Ostwand und die Bietschhorn-Südwand erstiegen und das Matterhorn überschritten. Wenige Tage nach der sensationellen Längs- überschreitung an der Meije verunglückt Emil Zsigmondy beim Versuch einer Durchsteigung von deren Südwand tödlich. Sein Tod erregt umso mehr Aufmerksamkeit, als er selbst sich immer wieder mit belehrenden Aufsätzen