Schwung gekommen war, bot nicht für alle arbeitssuchenden jungen Frauen die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit. Ausserdem beschränkte sich die Arbeit als Köchin, Kellnerin oder Zimmermädchen auf wenige Monate im Jahr.
Den gesellschaftlichen Erwartungen an die Mädchen entsprach die Arbeit als Dienstmädchen bestens. Die Mädchen schickten ihren Lohn meist vollständig nach Hause, für Essen und oft auch Kleidung sorgten die Arbeitgeber. Neben- bei lernten die jungen Frauen hauswirtschaftliche Tätigkeiten und im Falle der Südtirolerinnen die italiensche Sprache.
Die Nachfrage nach unqualifizierten, weiblichen Arbeitskräften im Alter von 14-30 Jahren für den Dienstbotensektor war in den aufstrebenden italienischen Industriestädten sehr gross.[6] So gesellten sich nach dem Anschluss Südtirols an das italienische Staatsgebiet zu den vielen italienischsprachigen Dienstmädchen, die schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den abgelegenen Re- gionen der Apenninenhalbinsel in grosser Zahl in die Städte geströmt waren, zunehmend auch Mädchen aus Südtirol.[7] Regina Walcher, Jahrgang 1911, von 1928 bis 1940 Dienstmädchen in Mailand, schildert die Lage anschaulich: «Hier in Bozen hat es erstens nicht viele Arbeitsplätze gegeben und zweitens haben sie nicht viel bezahlt. Und Mailand war immerhin eine Grossstadt, mit viel Industrie, und da sind viele reiche Leute und die haben gut bezahlt.»
Viele Südtiroler Mädchen wurden von italienischen Touristen, die in Südtirol ihre Ferien verbrachten, und von italienischen Beamten beziehungsweise Mi- litärs direkt vor Ort als Dienstmädchen angeworben. Man stellte ihnen höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht. Südtirolerinnen waren ganz offensichtlich sehr gefragt. Manchmal waren es die Eltern, die im Hinblick auf den guten Lohn, der möglichst vollständig nach Hause geschickt werden sollte, die Mädchen zur Annahme einer Stelle drängten.
Die Entscheidung, eine Stelle in einer italienischen Stadt anzunehmen, wurde aber nicht allein aus ökonomischen Überlegungen heraus getroffen. Für viele ehemalige Dienstmädchen war der Wunsch, Italienisch zu lernen, ausschlag- gebend. Seit der Italianisierung des politischen und öffentlichen Lebens in Südtirol,[8] sah man es als nützlich an, dass zumindest ein Familienmitglied die Staatssprache gut beherrschte. Ebenso waren Italienischkenntnisse für die Arbeit im heimischen Gastgewerbe von Vorteil.[9] Auch das Bedürfnis der Mädchen, der Enge Südtirols zumindest für einige Zeit zu entfliehen und «die Welt kennen- zulernen», spielte bei der Entscheidung eine nicht zu unterschätzende Rolle. So gingen mitunter Mädchen ohne Einwilligung der Eltern ein Dienstverhältnis in
einer italienischen Stadt ein.