Motive wurden auch vom Umfeld der Arbeitsmigrantinnen ganz offensichtlich akzeptiert. In diesem Sinn bestätigt unsere Studie, dass die SüdtirolerInnen zwar insgesamt dem italienischen Faschismus reserviert gegenübergestanden haben, in ihrem Alltags- und Arbeitsleben aber dennoch immer wieder alltagspragmatische Kompromisse mit dem Regime eingingen.[16]
Den Umstand, dass beim italienischen (Gross-)Bürgertum deutschsprachige Mädchen aus Südtirol besonders begehrt waren, hat sowohl einen sozialen als auch politischen Hintergrund: Im Vergleich zu vielen ländlichen Regio- nen Italiens (etwa dem Süden oder dem Appenin) erschien Südtirol als fort- schrittliches Land mit hohem Alphabetisierungsgrad und die Südtirolerinnen erschienen vielen grossbürgerlichen Familien in sozialer Hinsicht vielleicht näher als italienische Dienstmädchen aus den strukturschwachen Gebieten des übrigen Landes.
Ab Mitte der 1930er-Jahre festigte sich die Freundschaft zwischen den beiden faschistischen Diktatoren und wohl nicht unabhängig davon wollten viele ita- lienische Familien, dass das Südtiroler Dienstmädchen den Kindern die deutsche Sprache beibringen sollte. Maria Stolzlechner, Jahrgang 1917, von 1934 bis 1939 Haus- und Kindermädchen in Turin, war aus diesem Grund eingestellt worden: «Ich sollte den Kindern die deutsche Sprache beibringen. Ich habe schon Deutsch mit ihnen gesprochen. [...] Das war damals in Italien so eine Art Modeerscheinung, die mit dem Hitler aufgekommen ist. Da wollten plötzlich alle Italiener Deutsch lernen. Aber um die Politik habe ich mich nie gekümmert, das war mir egal.»
Rückte die Politik die Südtirolerinnen in den italienischen Grossstädten näher? Natürlich nahmen die jungen Frauen in Rom oder Mailand öffentliche Inszenierungen und Aufmärsche des Regimes wahr, die es in dieser Form in Südtirol kaum gab. Aber im Gegensatz zu Südtirol, wo sich die deutschsprachige Bevölkerung immer in Konfrontation zum Regime wahrnahm, erlebten sich die Südtirolerinnen in den Städten vielmehr als Zuschauerinnen, die vom Geschehen nicht unmittelbar betroffen waren.
Auch innerhalb der Familien der Arbeitgeber war Politik kaum ein Thema, das mit dem Dienstmädchen erörtert wurde, sodass es auch hier kaum zu Konflikten kommen konnte. Im Gegenteil erzählten einige ehemaligen Dienstmädchen sogar, dass es in den Familien eine gewisse Distanz zum Faschismus gegeben und sich die grundsätzliche Staatsloyalität eher an der Figur des Königs festgemacht hätte. Wir vermuten, dass der Aufenthalt in einer italienischen Stadt auf alle Fälle zu einer differenzierteren Wahrnehmung der Italienerinnen