IV.
Das Freien um Etain.
(The Courtship of Etain.)
1. Der Text der folgenden Erzählung wird hier – abgesehen von dem Facsimile des Lebor na hUidre – zum ersten Male herausgegeben. Benutzt sind die folgenden Handschriften:
1) Egerton Manuscript 1782 im British Museum, p. 205, a, durch Eg. bezeichnet;
2) Lebor na hUidre im Besitz der R. Irish Academy zu Dublin (circa 1100 geschrieben), p. 129, durch LU. bezeichnet.
Eine genaue Copie aus dem Egerton Manuscript hat mir Herr O’Grady zum Geschenk gemacht; ich konnte sie 1874 mit dem Original collationiren. Das Lebor na hUidre habe ich in dem (Dublin 1870) von der R. Irish Academy publicirten Facsimile benutzt.
2. Beide Texte sind vollständig abgedruckt, da ihre Fassung eine sehr verschiedene ist. Der Text von LU. ist bis Cap. 11 viel kürzer, als der von Eg. Im Allgemeinen lässt sich oft beobachten, dass die Texte in den jüngeren Handschriften ausgedehnt und ausgeschmückt worden sind. Aber es ist doch die Frage, ob die ersten Theile dieser Sage in älterer Zeit immer nur in der ziemlich kahlen Form erzählt wurden, in der sie in LU. vorliegen. Wenn sich die genaue Beschreibung von Étáin’s Schönheit (Cap. 3 und 4), die in LU. fehlt, fast mit denselben Worten zu Anfang der Togail Bruidne Dá Derga betitelten [ 114 ]Sage findet[1], so könnte man allerdings vermuthen, dieses Stück sei erst nachträglich in unsere Sage eingefügt worden. Bedenken wir jedoch, dass Étáin’s Schönheit sprüchwörtlich geworden war (s. Cap. 5), so werden wir uns nicht wundern, dass die Schilderung derselben eine feste Form angenommen hatte, der wir in verschiedenen Sagen begegnen, in denen Étáin’s Schönheit eine Rolle spielt.
Anders steht es mit den Gedichten, die Cap. 9 und 10 eingelegt sind. Diese gehören zwar ohne Frage nur an diese Stelle, aber sie werden gewiss nicht von Anfang an einen integrirenden Bestandtheil der Erzählung gebildet haben (vgl. S. 63). Jedenfalls weicht das erste Gedicht (Cap. 9) darin von der Prosaerzählung ab, dass es V. 26 nicht Eochaid Airem, sondern dessen Bruder Eochaid Fedlech (s. Cap. 6) als Gemahl der Étáin nennt. Dies ist eine Verschiedenheit der Tradition, der wir zwar auch noch sonst begegnen (vgl. O’Curry, On the Mann. and Cust. II, 192 und IH, 190), die wir aber nicht in einem und demselben Texte erwarten.
3. Der Inhalt der Erzählung ist kurz der folgende:
Der König von Erinn, Eochaid Airem, ladet im ersten Jahre nach Antritt der Herrschaft die Könige der Provinzen zum Feste von Tara ein. Diese weigern sich jedoch zu erscheinen, da der König unvermählt ist. Eochaid beschliesst sich eine Königin zu wählen, und seine Boten finden bald ein des Königs würdiges Weib. Dies ist Étáin, die Tochter Étar’s, von den Side. Eochaid wird zu ihr geführt, und sie verständigen sich rasch, da Étáin ihn von jeher geliebt und ihn erwartet hat. Er führt sie heim, das Fest von Tara wird abgehalten. An dem Feste fasst Ailill, ein Bruder Eochaid’s, eine heftige Leidenschaft zu Étáin, die er nicht bewältigen kann. Er wird krank, man bringt ihn nach Dún Fremain, aber Niemand versteht sein Leiden, bis Eochaid seinen Arzt schickt und dieser erklärt, nur Liebe oder Eifersucht könne die Ursache desselben sein. Ailill [ 115 ]schämt sich zu gestehen, was ihn verzehrt. Sein Tod scheint allen sicher zu sein, und Eochaid, der als König eine Rundreise in Erinn zu unternehmen hat, bittet Étáin, seinen Bruder zu pflegen, so lange er lebe, und ihn würdig zu begraben, wenn er gestorben sei. Étáin kommt täglich in das Haus, in welchem er sich befand, um ihn zu pflegen. Eines Tages redet sie ernstlich mit ihm über seine Krankheit und erfährt endlich von ihm den Grund derselben. In Eg. ist dieses Zwiegespräch in metrischer Form; ebenso findet sich nur in Eg. das Gedicht, in welchem Étáin dem Ailill die Erfüllung seiner Wünsche verheisst. Ailill gesundet rasch, und sie verabreden ein Stelldichein. Étáin findet sich zur festgesetzten Zeit ein, und erblickt bald einen wie Ailill aussehenden Mann, aber schwach und krank. Auf den wirklichen Ailill wartet sie vergebens. Dieser war in tiefen Schlaf verfallen und erwachte erst, nachdem die Zeit des Stelldicheins vorüber war. Der Tod war ihm lieber, als das Leben. Étáin vertröstet ihn auf einen anderen Tag, aber ihre Absicht wird den zweiten und den dritten Tag in derselben Weise vereitelt. Zuletzt aber giebt sich der Mann, der Étáin in Ailill’s Gestalt erschien, als Mider, König der Side von Brig Léith, und als ihr früherer Gemahl zu erkennen, dem sie gehörte, als sie noch im Reiche der Side weilte. Auf dieses Verhältniss scheint sich Étáin nicht besinnen zu können, denn Mider’s Aufforderung, mit ihm zu kommen, lehnt sie ab, da sie den König von Erinn nicht für einen Mann aufgeben will, dessen Geschlecht ihr unbekannt ist. Mider eröffnet ihr weiter, dass er es war, der Ailill’s Liebe zu ihr erregt, aber auch, der schliesslich durch sein Dazwischentreten ihre Ehre bewahrt habe. Ailill wird von seiner Leidenschaft geheilt, und Eochaid dankt Étáin bei seiner Rückkehr für das, was sie an seinem Bruder gethan.
4. Der besondere Titel dieser Erzählung ist Serglige Ailella, Ailill’s Krankenlager (s. Cap. 20); denn der Titel Tochmarc Étáine kommt ihr nicht allein, sondern zugleich einigen anderen Sagen zu, von denen sich Fragmente gleichfalls im Lebor na hUidre finden (vielleicht zum Theil aus dem ver[ 116 ]lorenen Lebor Dromma Snechta abgeschrieben, s. LU. p. 128a, 1 und 132a, 6). Die eine Sage bezieht sich auf Mider’s früheres Verhältniss zu Étáin (LU. p. 129a), eine andere auf Étáin’s Entführung durch Mider und auf Eochaid’s Zug, sie wieder zu erlangen (LU. p. 130b–132). Letztere Sage erzählt O’Curry, On the Mann. and Cust. II, p. 192–194 (vgl. III, 190) nach einer vollständigeren Quelle. O’Curry nennt Lect. on the Ms. Mat. p. 585 das Yellow Book of Lecain und das Paper Manuscript H. 1. 13. in Trin. Coll. Dubl. als Handschriften, welche die Sage Tochmarc Étáine enthalten.
Eine kurze aber vollständige Version, in welcher Étáin’s Entführung durch Mider anders als in LU. erzählt wird, findet sich auch in Eg, und diese theile ich mit. Mider sagt hier, dass er im Osten, am Aufgang der Sonne wohne. Auch ist der Zauber des Druiden Dalán von Interesse.
5. Wir sollten hier wohl eher von Mythus als von Sage reden, denn Mider und das Reich der Side gehören der irischen Mythologie an. Davon eingehender zu handeln, ist hier nicht der Ort (s. die Indices zu O’Curry’s Lectures, und meine Bemerkungen in den Beitr. zur Vergl. Sprachf. VIII, 246). Beachtenswerth ist, dass die Wohnungen der Side in oder unter Hügeln befindlich gedacht wurden.
Nach der irischen Tradition sollen diese Begebenheiten Ende des zweiten oder Anfang des ersten Jahrhunderts vor Christo stattgefunden haben. Sie gehen also der Zeit des Táin Bó Cualgne voraus. Eochaid Fedlech, der Bruder des Eochaid Airem, war Vater der berühmten Königin Medb von Connacht, der Hauptheldin des Táin. Darnach sind die Angaben in Cap. 1 zu beurtheilen. Mit der Chronologie darf man es nicht zu genau nehmen, wenn Medb bereits zu Eochaid’s Zeit Königin von Connacht gewesen sein soll. Auch in anderen Fällen lässt sich die Neigung beobachten, die alten Sagen irgendwie zum Táin in Beziehung zu setzen.
Andrerseits waren Eochaid Airem und Étáin die Grosseltern des Königs Conaire Mór (s. Cap. 20), dessen Ermordung [ 117 ]in der bereits oben erwähnten, höchst interessanten Sage von der Zerstörung des Bruden Dá Derga erzählt wird (s. O’Curry, Lect. on the Ms. Mat. p. 258–260).
6. Was endlich die Abkürzungen der Handschrift anhingt, so sind dieselben von mir unbezeichnet geblieben in folgenden Fällen: 1) im Nom., Acc. und Dat. S. Ailill, 2) in der Conjunction ocus (in Eg. öfter plene geschrieben), 3) in dem Substantivum mac (der Gen. mic in Eg. öfter plene geschrieben), 4) in der Präposition for, 5) in der ersten Silbe von hErend, hErind (nur in Eg. abgekürzt). – Für ṡ findet sich mehrmals hs in Eg, z. B. ro hsirsit, do hsita. – Wenn die Form des offnen a (die sich in LU. sehr wohl vom u unterscheiden lässt) in Eg. überhaupt existirt, so habe ich sie wenigstens in den Stücken, die ich in Eg. gelesen habe, nicht vom u unterscheiden können; ich habe daher Temruch, ja sogar argiallsut geschrieben. – Die Partikel dano ist Cap. 1 in Eg. plene geschrieben.
Die Sprache des Egerton Manuscripts zeigt in dem Lautbestande der Wörter ein jüngeres Gepräge, aber es liegt offenbar ein alterthümlicher Text zu Grunde.
Tochmarc Étáine inso sís.